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„Persönlichkeits“-Unterschiede bei vier Affenarten
im Vergleich
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„Persönlichkeits“-Unterschiede wurden mittlerweile im Verhalten
vielen Arten gezeigt. Doch welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es
dabei? In ihrer neue Studie stellt Jana Uher eine Forschungsmethodik vor,
um „Persönlichkeits“-Unterschiede auch systematisch zwischen Arten zu
vergleichen. Dazu hat sie Ansätze und Methoden der kulturvergleichenden
„Persönlichkeits“-Psychologie an die Besonderheiten der artvergleichenden
Forschung angepasst und weiterentwickelt. Die Anwendung dieser neuen
Methoden erläutert sie am Beispiel von vier Affenarten aus drei
Kontinenten: Braunen Kapuzineraffen, Mandrills, Ceylon-Hutaffen und
Rhesusaffen. Die Ergebnisse zeigen: Die individuellen Unterschiede aller
vier Affenarten können mit denselben „Persönlichkeits“-Merkmalen
beschrieben werden. Dieser Befund ermöglicht systematische Vergleiche, bei
denen auch einige Artunterschiede zutage traten.
(© Fotos: Jana Uher, PPN, The London School of Economics &
Freie Universität Berlin)
“Persönlichkeit” galten lange als eines der letzten Merkmale, die
einzigartig menschlich seien und den Menschen von allen Tieren fundamental
unterscheiden würde. Mittlerweile ist eine Vielzahl von Tierarten bekannt,
die individuelle Unterschiede im Verhalten zeigen, die nicht nur zufällig
sind, sondern immer wieder in ähnlicher Weise auftreten und für Individuen
über einige Zeit hinweg spezifisch sind: „Persönlichkeits“-Unterschiede.
Und die Zahl der Arten wächst ständig. Längst stellen sich neue
Forschungsfragen.
Bisher wurden „Persönlichkeits“-Unterschiede beim Menschen—aber zunehmend
auch bei vielen Tierarten—vor allem über die menschliche Alltagssprache
untersucht. Denn ein Großteil der „Persönlichkeits“-Forschung basiert auf
den personenbeschreibenden Worten in unserer Alltagssprache. Diese Worte
werden in „Persönlichkeits“-Fragebögen verwendet, um Individuen zu
beurteilen. Doch mit Fragebögen kann man bestenfalls untersuchen, was
Menschen über sich und andere Menschen oder auch über Individuen anderer
Arten denken. Doch sie können nicht messen, wie sich die beurteilten
Individuen tatsächlich verhalten.
Um „Persönlichkeits“-Unterschiede unabhängig von der
menschlichen Alltagssprache zu untersuchen und zu kategorisieren, hat Jana
Uher ein neues Wissenschaftsparadigma entwickelt. Es umfasst unter anderem
neue Methodiken und Forschungsansätze, mit denen individual-spezifische
Verhaltensmuster nicht nur beim Menschen, sondern auch bei
nichtmenschlichen Arten systematisch untersucht werden können (siehe
Science Blogs „Was ist ’Persönlichkeit’?“ und „A new scientific paradigm
for research on individuals“).
In ihrer neuen Studie hat Jana Uher auf der Grundlage dieses
Wissenschaftsparadigmas eine komplexe Forschungsmethodik entwickelt, um
„Persönlichkeitsunterschiede“ auch zwischen verschiedenen Arten
systematisch zu vergleichen. Dabei hat sie Forschungs-ansätze der
kulturvergleichenden „Persönlichkeits“-Psychologie auf die Besonderheiten
der artübergreifenden Forschung angepasst und weiterentwickelt. Die
Anwendung dieser neuen Methoden demonstrierte sie an Vergleichen von vier
verschiedenen Affenarten, die in drei Kontinenten beheimatet sind: Braune
Kapuzineraffen stammen aus Südamerika, Mandrills aus Afrika,
Ceylon-Hutaffen und Rhesusaffen - beides Makaken-Arten - aus Asien.
Die Methodik ist knifflig. Denn während sich etwa die Haarfarbe und
Körpergröße von Individuen nur langsam ändert, ändert sich das Verhalten
von einem Augenblick auf den nächsten. Dadurch kommt es zu ausgeprägten
Schwankungen in den Verhaltensdaten eines Individuums sowohl innerhalb
eines Tages als auch zwischen verschiedenen Tagen. Diese Schwankungen sind
oft viel größer als die Unterschiede, die die Durchschnittswerte der
Individuen aufweisen, wie die Forscherin in der Studie am Beispiel des
Aktivitätsverhaltens einer Gruppe von Rhesusaffen im Tierheim Berlin
zeigt.
Die starke Veränderlichkeit von Verhalten macht es oft sehr schwierig,
individuelle Unterschiede zu finden, die über einige Zeit immer wieder in
ähnlicher Weise auftreten. Denn weil sich Verhalten ständig verändert,
kann man praktisch zu jedem beliebigen Zeitpunkt immer Unterschiede
zwischen Individuen feststellen: Beobachtet man eine Affengruppe, gibt es
selten zwei Individuen, die in einem bestimmten Moment exakt dasselbe tun;
zumeist macht jeder grad etwas anderes. Diese Unterschiede können rein
zufällig sein und überhaupt nichts mit „Persönlichkeit“ zu tun haben. Erst
wenn die individuellen Unterschiede über einige Wochen oder Monate in
ähnlicher Weise wiederholt auftreten, kann von
„Persönlichkeits“-Unterschieden gesprochen werden (siehe Science Blog
„Wenn Biologen und Psychologen aneinander vorbeireden“).
Wie können nun „Persönlichkeits“-Unterschiede zwischen verschiedenen Arten
verglichen werden? Jana Uher weist auf einen wesentlichen Unterschied zur
kulturvergleichenden Forschung hin: „In allen Studien über menschliche
‚Persönlichkeits’-Unterschiede, egal ob diese zwischen verschiedenen
Geschlechtern, Altersgruppen, Nationen, Sprach- oder Kulturgemeinschaften
verglichen werden, werden Individuen derselben Art verglichen. Artgenossen
teilen grundlegende biologische Merkmale und sind sich deshalb einander
substantiell ähnlich. ‚Persönlichkeits’-Unterschiede beschreiben die
individuellen Variationen, die trotz dieser biologisch notwendigen
Ähnlichkeit von Artgenossen auftreten“. Dies wird mitunter noch zu wenig
beachtet, etwa wenn von der „Persönlichkeit“ einer Art die Rede ist.
‚Persönlichkeits“-Unterschiede können sich immer nur auf die Individuen
einer Art beziehen.
In der neuen Studie beschreibt die Forscherin, wie
‚Persönlichkeits“-Unterschiede zwischen Arten verglichen werden können und
zeigt dies am Beispiel der vier Affenarten. Neben der Rhesusaffengruppe
aus dem Berliner Tierheim untersuchte sie mit ihrem Forschungsteam im
Berliner Zoo auch je eine Gruppe Mandrills, Brauner Kapuzineraffen und
Ceylon-Hutaffen. In umfangreichen Beobachtungen wurden die
Fellpflegeaktivitäten, der Körperkontakt und Nähe zu Artgenossen,
aggressives und dominantes Verhalten der Affen protokolliert. Jede
Affenart wurde über 4-5 Wochen beobachtet, jedes Individuum für insgesamt
60-80 Stunden.
Diese intensive Datenerhebung war wichtig. Denn dadurch konnte genau
untersucht werden, ob Verhaltensunterschiede nur zufällig
auftraten—schließlich hat auch jeder Affe mal einen guten oder schlechten
Tag—oder ob die Affen tatsächlich stabile Verhaltensunterschiede zeigen,
die für sie als Individuen spezifisch sind. Dieser Stabilitätsnachweis ist
entscheidend. Denn individuelle Verhaltensweisen, die jeden Tag anders
ausfallen oder die bei allen Individuen sehr ähnlich sind, können nicht
spezifisch für ein Individuum sein. Nur individual-spezifische
Verhaltensmuster werden als „Persönlichkeit“ bezeichnet.
In allen Verhaltensweisen gab es bei allen vier Affenarten stabile
individuelle Unterschiede, also „Persönlichkeits“-Unterschiede“. Solche
individual-spezifischen Verhaltensweisen hatte das Forschungsteam um Jana
Uher in vorangegangenen Studien auch schon bei Hauben-Kapuzineraffen,
Javaneraffen und Großen Menschenaffen gezeigt (siehe Science Blogs
„Geschlechtsunterschiede, keineswegs so universell wie bisher gedacht“;
„Die menschliche ‚Persönlichkeits-Brille’” und Keiner wie der Andere -
"Persönlichkeits“-Unterschiede" bei Großen Menschenaffen)
Zentral für die neue Studie war es nun herauszufinden, ob sich die
Individuen dieser vier Arten vielleicht sogar in denselben
„Persönlichkeits“-Merkmalen unterscheiden. Dazu wurden die einzelnen
Verhaltensweisen drei unterschiedlichen „Persönlichkeits“-Merkmalen
zugeordnet: Soziale Orientierung umfasst Fellpflege, Körperkontakt und
körperliche Nähe, Aggressivität umfasst verschiedene aggressive
Verhaltensweisen, und Dominanz umfasst dominantes und unterwürfiges
Verhalten. Es zeigte sich, dass die individuellen Unterschiede in den
jeweils in einem Merkmal zusammengefassten Verhaltensweisen bei allen vier
Arten in sehr ähnlicher Weise zusammenhingen. Die drei
„Persönlichkeits“-Merkmale waren also in ihrer Struktur zwischen den vier
Arten vergleichbar. Auch die Stabilitäten der individuellen Unterschiede
waren in jeder Art und auch über die Artgrenzen vergleichbar.
Nun konnten die vier Arten in ihren individuellen Unterschieden direkt
miteinander verglichen werden. In der Sozialen Orientierung wichen die
Braunen Kapuzineraffen deutlich von den anderen drei Arten ab.
Kapuziner-Individuen verbrachten insgesamt weniger Zeit mit ihren
Artgenossen, aber nicht weniger Zeit mit der sozialen Fellpflege. Viele
Zoobesucher können das selbst beobachten: Kapuzineraffen sind meist immer
beschäftigt und emsig in der ganzen Anlage unterwegs—und dabei häufig auch
auf eigenen Wegen. Bei anderen Arten dagegen, wie etwa bei Mandrills,
Ceylon-Hutaffen und Rhesusaffen, sitzen die Individuen häufiger zusammen
und gehen dafür weniger auf Erkundungstouren als Kapuziner.
Das Sozialverhalten von Mandrills und Rhesusaffen wird oft als
„despotisch“ beschrieben, das von Braunen Kapuzineraffen und
Ceylon-Hutaffen dagegen als eher „egalitär“. Sind Mandrills und
Rhesusaffen deshalb vielleicht auch insgesamt aggressiver als die beiden
anderen Arten? Nein, keine dieser Arten war generell aggressiver als die
anderen Arten. Aber es zeigten sich ausgeprägte individuelle Unterschiede:
In jeder der vier Affenarten gab es sehr aggressive und wenig aggressive
Individuen und alle Variationen dazwischen.
Bei der Dominanz war es genauso. Doch hier gab es im Ausmaß der
individuellen Unter-schiede hochinteressante Artunterschiede. Die mit
Abstand größten individuellen Unter-schiede zeigten die Mandrills: hier
gab es einerseits extrem dominante Männchen und Weibchen und andererseits
Individuen, die wesentlich häufiger Unterordnungsverhalten zeigten als die
niedrigrangigen Individuen der anderen Arten. Das heißt, die
Dominanz-hierarchie der Mandrills waren wesentlich steiler als die der
anderen Arten, etwa die der als eher „egalitär“ geltenden Kapuzineraffen.
Interessanterweise waren die individuellen Dominanzunterschiede der als
eher „egalitär“ geltenden Ceylon-Hutaffen größer als die der als eher
„despotisch“ geltenden Rhesusaffen. Aber Dominanzverhältnisse sind immer
auch ein Merkmal sozialer Gruppen. Je nachdem, aus welchen Individuen
soziale Gruppen zusammengesetzt sind, entstehen auch unterschiedliche
Gruppendynamiken. Diese könnten auch die Entstehung neuer Arten
beeinflussen. Die neuen Methoden für Artvergleiche sind deshalb wichtige
Werkzeuge, um Artunterschiede in individual-spezifischen Verhaltensmustern
systematisch zu untersuchen.
Die Studie ist Teil des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft
finanzierten Projekts UH249/1-1.
Wissenschaftliche Publikation:
Uher, J. (2015e). Comparing individuals within and
across situations, groups and species: Metatheoretical and
methodological foundations demonstrated in primate behaviour. In D.
Emmans & A. Laihinen (Eds.). Comparative neuropsychology and
brain imaging (Vol. 2), Series Neuropsychology: An interdisciplinary
approach. (chapter 14, pp. 223-284). Berlin: Lit Verlag.
ISBN
978-3-643-90653-3
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Letzte Aktualisierung 18.06.2015
Keywords: Brauner Kapuzineraffe (Cebus olivaceus), Mandrill
(Mandrillus sphinx), Ceylon-Hutaffe (Macaca sinica), Rhesusaffe
(Macaca mulatta), Makaken, Persönlichkeit, Rating, Beurteilung,
Persönlichkeitsfragebogen, individuelle Unterschiede,
Artunterschiede, Artvergleiche, Persönlichkeitsdimensionen,
Persönlichkeitseigenschaften, individuelles Verhalten,
individual-spezifisches Verhalten, individuelles Verhalten,
despotisch, egalitär, Dominanzhierarchie, Aggressivität, Dominanz,
Sozialverhalten, Soziale Orientierung.
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