Research on primate personality and social relationships

  

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Die menschliche "Persönlichkeits-Brille" - Warum wir uns Eindrücke von Individuen bilden. Neue Erkenntnisse über eine einzigartig menschliche Fähigkeit

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Sich schnell einen Eindruck von der "Persönlichkeit" anderer Individuen machen zu können - das ist vermutlich eine einzigartig menschliche Fähigkeit. Eine 3-jährige artübergreifende Studie über 104 Javaneraffen und 99 menschliche Beobachter dieser Affen hat diese faszinierende menschliche Fähigkeit näher untersucht. Sie zeigt systematisch auf, wie in unserem Alltagswissen verankerte, zum Teil stereotype Vorstellungen über Alters-, Status- und Geschlechtsunterschiede Beurteilungen über Individuen beeinflussen. Diese intuitiven Vorstellungen wirken wie eine Brille, durch die wir uns einen Eindruck von der "Persönlichkeit" anderer Individuen machen. Sie beeinflussen sogar, wie wir Individuen anderer Arten beurteilen! Diese Studie deckt zutiefst menschliche Fehler auf, die uns dadurch bei der Eindrucksbildung mitunter passieren. Doch ungeachtet von Ungenauigkeiten und Fehlern hatte die Fähigkeit, sich schnell einen Eindruck von fremden Individuen zu bilden, vermutlich eine herausragende Bedeutung in der Evolution des Menschen: Sie ermöglichte unseren Vorfahren, mit Individuen aus fremden Kulturen Handel zu treiben und war eine entscheidende Voraussetzung für die Domestikation von Tieren. Eine spannende Studie über Menschen und Affen aus verschiedenen Kontinenten.


(© Foto: Karlijn Gielen, Utrecht University)

Wohl kaum etwas spielt im Alltag eine so große Rolle wie Informationen darüber, wer was mit wem macht. Beim Kommunizieren solcher Informationen tauschen wir Erfahrungen, die wir mit bestimmten Individuen gemacht haben, sowie unsere Vorstellungen und Meinungen über diese Individuen aus. Innerhalb unserer soziokulturellen Gemeinschaft entwickeln wir gemeinsame Überzeugungen und Wertvorstellungen über Individuen und ihre Besonderheiten sowie eine gemeinsame Sprache, um diese Informationen kommunizieren zu können. Unsere Alltagssprache enthält deshalb eine Vielzahl von Wörtern mit denen wir komplexe Informationen über Individuen einfach und schnell kommunizieren können. 

Aus der kurzen Information jemand sei "freundlich", ziehen wir Schlüsse über ein Individuum, das wir selbst noch gar nicht getroffen haben, und richten unser Handeln daran aus. Dies ist möglich, weil unser Alltagswissen ein differenziertes System sozialer Kategorien enthält, das auf unseren eigenen Erfahrungen, vor allem aber auf unserer Alltagssprache, d.h. auf den Erfahrungen und Vorstellungen vorangegangener Generationen basiert und das deshalb alle Individuen unserer Kultur- und Sprachgemeinschaft in ähnlicher Weise besitzen. 

Dieses Wissen nutzen wir intuitiv, um fremde Individuen hinsichtlich ihrer "Persönlichkeit" bei ersten Begegnungen schnell mental einzuordnen und uns einen Eindruck davon zu bilden, wie sich diese uns gegenüber vermutlich verhalten werden. Auch wenn sich der erste Eindruck keineswegs immer als zutreffend erweist, so gibt er uns zunächst Sicherheit im Umgang mit fremden Individuen und bietet Anhaltspunkte, um unser Verhalten auch vorausschauend anzupassen. 

 

Die Fähigkeit, mit fremden oder gar anonymen Individuen friedlich umgehen zu können, ist in unserem Leben so alltäglich, dass sie uns zunächst gar nicht so besonders erscheinen mag. Doch sie ist eine vermutlich einzigartig menschliche Fähigkeit, zumindest unter den Säugetieren. Selbst unsere nächsten Verwandten, die nichtmenschlichen Primaten haben enorme Probleme, mit unbekannten Artgenossen friedfertig umzugehen. 

Während wir tagtäglich auf engem Raum etwa in der Bahn neben fremden Personen ruhig ausharren können, ist für viele andere Arten das Aufeinandertreffen auf fremde Artgenossen außerordentlich stressreich und geht häufig mit teils aggressiven Auseinandersetzungen einher, die mitunter auch tödlich enden können. "Gerade bei Großen Menschenaffen, die uns in vielen sozialen und geistigen Fähigkeiten oft erstaunlich ähnlich sind, ist es immer wieder erschütternd zu sehen, mit welch enormem Stress für sie Begegnungen mit unbekannten Artgenossen verbunden sind und in welche Gewalt diese mitunter eskalieren können." sagt Jana Uher, die Leiterin der Studie. 

Warum ist das so? Jana Uher vermutet, dass dies nicht nur eine Folge des ausgeprägteren Territorialverhaltens anderer Arten ist und auch nicht nur am Fehlen einer abstrakten Sprachfähigkeit an sich liegt, sondern vor allem am Fehlen der Fähigkeit, mental Kategorien über Individuen zu entwickeln, anhand derer neue Individuen in ihrer "Persönlichkeit" eingeschätzt werden können. 

Sie erklärt: "Ohne ein Basiswissen, wie sich Individuen in ihrem Verhalten unterscheiden, also welche ‚Persönlichkeitskategorien' zur Unterscheidung von Individuen nützlich sind, kann man ein fremdes Individuum auch nicht mental einordnen und kann deshalb auch keine Vermutungen ableiten, wie es sich als nächstes verhalten wird. Damit wird jede Begegnung mit Fremden ungewiss und man kann nur schrittweise aus Interaktionen mit diesem Individuum lernen, wie sich es sich für gewöhnlich verhält." 

Angesichts der stressvollen Begegnungen mit fremden Artgenossen vermutet Jana Uher, dass selbst Menschenaffen nicht dazu in der Lage sind, mental Kategorien von Individuen zu bilden und für die Bildung von Eindrücken über Andere zu nutzen. "Dies könnte erklären, warum für die Individuen vieler Tierarten solche Begegnungen oft schwierig und in Zoos Einführungen neuer Individuen oft so stressreich sind." sagt sie. 

Die Forscherin betont jedoch, dass Individuen vieler nichtmenschlicher Arten über die Zeit durchaus lernen, wie sich spezifische Individuen in ihrem sozialen Umfeld tendenziell verhalten, ansonsten gäbe es keine individualisierten Beziehungen, die auch bei vielen anderen Arten, insbesondere Primaten zu finden sind. Doch von den Eigenheiten einzelner Individuen allgemeine Kategorien über individuelle Unterschiede zu entwickeln und in sozialen Interaktionen anzuwenden, diese Fähigkeit scheint einzigartig menschlich zu sein. 

Wir nutzen diese Fähigkeit so intuitiv und tagtäglich, dass sie uns auf den ersten Blick gar nicht so besonders erscheint, wie dies erst der Vergleich mit anderen Arten offenbart. Um diese Fähigkeit näher zu ergründen, untersuchte Jana Uher deshalb mit ihren Forschungskollegen von der Ethologiestation der niederländischen Universität Utrecht, wie Menschen sich Eindrücke von der "Persönlichkeit" von Individuen einer anderen Art bilden. 

 

Unsere Fähigkeit, auch bei nichtmenschlichen Arten individuelle Unterschiede im Verhalten zu erkennen, war eine entscheidende Voraussetzung zur Domestikation von Tieren. Lange wurde angenommen, unsere Vorfahren hätten Tiere durch gezielte Zucht auf rein körperliche Merkmale domestiziert. Doch bahnbrechende Zuchtexperimente mit Farmfüchsen in Russland haben in beeindruckender Weise gezeigt, dass die gezielte Zuchtwahl auf ein individuelles Verhaltensmerkmal - weniger Furcht and Aggression gegenüber Menschen - in nur 30 Generationen mit einer Vielzahl körperlicher Veränderungen einhergeht, die für domestizierte Tiere heute typisch sind. 

Steinzeitliche Funde von Knochen, die eindeutig eher Hunden als Wölfen zuzuordnen sind, lassen deshalb vermuten, dass Menschen bereits vor über 30.000 Jahren in der Lage gewesen sein müssen, "Persönlichkeitskategorien" zu entwickeln, die auch zur Unterscheidung von Individuen ganz anderer Arten nützlich sind. 

Da domestizierte Tiere auf genau jene Verhaltensmerkmale gezüchtet wurden, die wir als Menschen ohne weiteres erkennen können und für die wir "Persönlichkeitskategorien" in unserer Alltagssprache entwickelt haben, untersuchte Jana Uher mit ihrem Forscherteam, wie Menschen "Persönlichkeitseindrücke" von Individuen einer ihnen bis dahin unbekannten Art bilden - Javaneraffen aus Südostasien, auch Krabbenfresser genannt. 

In der Javaneraffenkolonie der Ethologiestation, deren Sozialverhalten seit Jahrzehnten erforscht wird, lernten 91 Studenten der Verhaltensbiologie zunächst diese Affenart und wissenschaftliche Beobachtungsmethoden kennen. Dann beobachteten die Studenten jeweils zu zweit 5 Affenindividuen intensiv über 5 Tage und protokollierten deren Verhalten. Im Anschluss beurteilten sie ihre 5 Affenindividuen auf zwei "Persönlichkeits"-Fragebögen. Auch 8 Forscher der Ethologiestation beurteilten die Affenindividuen, die sie teils schon seit Jahren kannten. 

Die Ergebnisse waren verblüffend. "Ich ging davon aus, dass Beobachtungen von nur 5 Individuen einer Art, mit der man noch nie zuvor zu tun hatte, nicht ausreichen würden, um sich Eindrücke von deren individuellen Besonderheiten zu bilden, die mit den Eindrücken anderer Beobachter einige Wochen später und v.a. mit denen der Experten vergleichbar sind. Doch erstaunlicherweise fanden wir kaum Unterschiede." sagt Jana Uher. Zudem sind 5 Tage zum Kennenlernen von Individuen sehr kurz, trotz sehr systematischer wissenschaftlicher Beobachtungen. "Ohne die robusten Ergebnisse aus 6 Erhebungen über 3 Jahre, hätte ich Zweifel gehabt, ob dies überhaupt sein kann." sagt sie. Das zeigt, wie schnell wir uns Eindrücke von Individuen auch anderer Arten machen und wie ähnlich die Eindrücke sind, die wir uns bilden. Doch wie zutreffend sind sie?

Um das herauszufinden, wandten die Forscher ein neues Paradigma zur Kategorisierung individueller Unterschiede an. Anders als bisher basieren die neuen Ansätze nicht auf der menschlichen Alltagssprache, sondern auf dem Verhaltensrepertoire der auf ihre "Persönlichkeit" untersuchten Individuen, in dem Falle von Javaneraffen. "Die neuen Ansätze ermöglichen uns, genau zwischen dem Verhalten von Individuen und dem, was Beurteiler über das Verhalten von Individuen denken zu unterscheiden und beides systematisch miteinander zu vergleichen. Dies ist mit den bisherigen, in der Alltagssprache verankerten Methoden der Persönlichkeitspsychologie nicht möglich." sagt Jana Uher, die das neue Paradigma entwickelt und bereits in Studien zum Individualverhalten von Kapuzineraffen und Menschenaffen und zu den Eindrücken menschlicher Beobachter über die "Persönlichkeit" dieser Individuen angewandt hat.

Die Ergebnisse waren erstaunlich. Die Beobachter schätzten jüngere Javaneraffen neugieriger und impulsiver als ältere ein, ranghohe Affen impulsiver als rangniedrige und Weibchen reinlicher als Männchen. Aber keine dieser Alters-, Status- und Geschlechtsunterschiede fand sich im Verhalten der Affen. Dafür verhielten sich jüngere Affen ängstlicher als ältere und Männchen ängstlicher als Weibchen, doch das widerspiegelte sich nicht in den "Persönlichkeitsurteilen" der Beobachter. Die Ergebnisse entsprechen eher stereotypen Vorstellungen über menschliche Individuen. Das belegt, dass solche Vorstellungen die Beurteilungen von Affenindividuen verzerren, d.h. vermenschlichen. 

 

Da menschliche "Persönlichkeitsunterschiede" bisher fast ausschließlich mit Fragebögen untersucht wurden, ist bislang noch unbekannt, wie stark "Persönlichkeitsurteile" über menschliche Individuen durch stereotype Vorstellungen z.B. über Personen verschiedenen Alters, Geschlechts oder unterschiedlicher sozialer und ethnischer Herkunft beeinflusst sind. Beurteilungen widerspiegeln, was Menschen über sich und andere Menschen oder auch über Individuen anderer Arten denken und wie sie dies beschreiben - jedoch nicht, wie sich die beurteilten Individuen tatsächlich verhalten. Erst der Vergleich mit dem tatsächlichen Verhalten von Individuen kann zeigen, inwiefern wir uns durch unsere "Persönlichkeitsbrille" korrekte Eindrücke von Individuen bilden und an welchen Stellen wir allzu schnell auf unser Alltagswissen und mögliche stereotype oder vermenschliche Vorstellungen zurückgreifen. 

Wissenschaftliche Publikationen:  

Uher, J., Werner, C. S., & Gosselt, K. (2013). From observations of individual behaviour to social representations of personality: Developmental pathways, attribution biases, and limitations of questionnaire methods. Journal of Research in Personality, 47, 647-667.   https://doi.org/10.1016/j.jrp.2013.03.006  [Download]  [Highlights]

Uher, J. (2013). Personality psychology: Lexical approaches, assessment methods, and trait concepts reveal only half of the story. Why it is time for a paradigm shift. Integrative Psychological and Behavioral Science, 47, 1-55.  https://doi.org/10.1007/s12124-013-9230-6  [Download]  [Highlights]

Letzte Aktualisierung 19.02.2014

Keywords: Macaca fascicularis, Geschlechtsunterschiede, Genderunterschiede, Altersunterschiede, Statusunterschiede, Persönlichkeit, Rating, Assessments, Persönlichkeitsfragebogen, individuelle Unterschiede, individuelles Verhalten, individual-spezifisches Verhalten, Beurteilungsverzerrungen, Beurteilerfehler, Geschlechtsstereotypen, Altersstereotypen, Verhaltenstest, Verhaltensbeobachtung, Primaten.